Raphaels Geschichte
Auch meine Frau und meine beiden Söhne (damals 9 und 12) waren sportlich sehr aktiv und begleiteten mich zu meinen Wettkämpfen. Wir waren oft unterwegs am Reisen, in der Natur und haben viel erleben dürfen. Wir hatten einfach ein gutes Leben.
Im Oktober 2021 lief ich den SwissCityMarathon in Luzern – in knapp über drei Stunden. Aber schon im darauffolgenden Februar fühlte ich mich nicht mehr wie sonst. Ich war nicht fit, und zwar über längere Zeit. Das kannte ich gar nicht von mir. Meine Frau dachte, ich hätte vielleicht ein Burnout. Ich selbst war der Ansicht, dass ich einen Infekt verschleppt hatte oder die Nachwehen der Coronaimpfung spürte. An eine ernsthafte Erkrankung oder gar an Krebs dachte ich zu diesem Zeitpunkt nicht.
Das erste Mal ernsthaft Sorgen machte ich mir Ende Februar, als ich mit meiner Frau joggen ging. Ich fühlte mich, als sei alle Energie aus mir gewichen, total geschwächt. Ausserdem
plagten mich Schmerzen in der linken Schulter. Um einen schwelenden Verdacht zu zerstreuen, es könne etwas mit dem Herzmuskel zu tun haben, ging ich zum Arzt. Trotz umfassender Untersuchungen konnte dieser nichts feststellen.
Ich erholte mich nicht. Im Gegenteil: Mir ging es immer schlechter. So schlecht, dass ich mich am Montag vor Ostern auf den Notfall des Universitätsspitals Basel begab. Nach einem EKG, einer Blutabnahme und quälender Wartezeit kam die Oberärztin zu mir und teilte mir mit, dass mein Blutbild nicht gut sei, ich an einer ernsthaften Bluterkrankung leide und am besten gleich im Spital bliebe. Es zog mir buchstäblich den Boden unter den Füssen weg, so abgedroschen das auch klingen mag, aber damals fühlte es sich einfach nur surreal an.
Es braucht eine Blutstammzellspende
Ich blieb im Unispital. Völlig unvorbereitet wurde ich in diese neue Realität hineinkatapultiert. Meine Familie brachte mir Kleider, dann mussten sie wieder gehen; Corona-Vorsichtsmass- nahmen.
Nach der Knochenmarkpunktion am nächsten Tag stand die Diagnose fest: Myelodysplastisches Syndrom (MDS), ein Blutkrebs, der eine Vorform einer Akuten Myeloischen Leukämie (AML) darstellt. Die Ärzte stellten gleich zu Beginn der Behandlung klar, dass es ohne eine Blutstamm-zelltransplantation keine Heilung geben wird. Dieses Gefühl, abhängig und ausgeliefert zu sein, war besonders schlimm.
Das beste Geburtstagsgeschenk
Dann im Sommer 2022, erreichte meine Familie die Nachricht, dass ein passender Spender gefunden worden sei. Die Erleichterung war riesig. Ich hatte das Gefühl, dass mir endlich jemand einen Rettungsring zuwirft und mich aus einem reissenden Fluss zieht. Wie es der Zufall wollte, spendete mein anonymer Spender genau an meinem 47. Geburtstag seine Blutstammzellen. Die Transplantation fand einen Tag später statt. Das beste Geburtstagsgeschenk, das ich mir hätte wünschen können.
Der Kampf zurück ins Leben
Auf die Transplantation folgten 40 Tag Isolation. Das heruntergefahrene Immunsystem durfte in dieser heiklen Phase keinem Infekt Herd ausgesetzt werden. Heruntergefahren war auch mein ganzer Körper: So etwas habe ich noch nie erlebt. Das war viel heftiger als die Chemotherapien im Frühling. Trotz offener Schleimhäute ging es mir jeden Tag ein winziges Stückchen besser. Ich konnte sogar auf meiner mitgebrachten Velorolle erste vorsichtige Trainingsversuche wagen.
Ende Oktober wurde ich aus dem Spital entlassen und durfte zu meiner Familie nach Hause. Es begann ein langsamer Weg der Genesung. Zunächst waren es nur wenige Schritte, ein Spazier-gang bis zum nächsten Häuserblock. Hörte ich ein Musikstück, das mich an die Zeit im Isolier-zimmer erinnerte oder roch ich ein typisches Spital Menü, kam alles wieder hoch, so präsent war diese Zeit noch.
Als in einer Nachuntersuchung festgestellt wurde, dass ich die Blutstammzelltransplantation gut überstanden hatte und keine Abstossungsreaktionen aufgetreten waren, wusste ich: «Jetzt bin ich wieder in Charge. Jetzt kann ich wieder der Papi sein wie früher.» Auch das sportliche Training nahm ich, in Absprache mit dem Ärzteteam, nach und nach wieder auf. Krafttraining, Velofahren auf der Rolle, Spazieren, erste Joggingversuche im Februar. Ich musste sportlich wieder bei null anfangen, aber die Fortschritte haben mich motiviert.
Mir ging es immer besser. Ich durfte die Immunsuppressiva absetzen, fing wieder an zu arbeiten und mehr Sport zu treiben. So viel Sport, dass mir die Teilnahme am Marathon in Luzern Ende Oktober realistisch erschien. Jetzt hatte ich ein Ziel. Einen symbolischen Abschluss, der die Rückkehr in mein neues Leben markiert.
Eine spezielle Verbindung
Im Spätsommer dieses Jahres trainierte ich auf das sportliche Ereignis, feierte meinen 48. Geburtstag und einen Tag später meinen deutlich emotionaleren 1. Geburtstag mit den neuen
Blutstammzellen. Ich dachte an meinen Spender, verspürte unglaubliche Dankbarkeit ihm gegenüber, aber auch für die Solidarität aller registrierten Menschen und die Arbeit der Organisationen, die die internationale und komplexe Koordination zwischen Spendenden und Patienten möglich machen.
Zum Geburtstag bekam ich von meiner Frau eine E-Gitarre. Ich habe immer gesagt, dass ich mit der Musik anfange, wenn ich einmal pensioniert bin und Zeit habe. Die Krankheit hat mir aber gezeigt, dass man gewisse Dinge nicht aufschieben sollte.
Triumph über den Blutkrebs
Ein Jahr nach meiner Blutstammzelltransplantation lief ich am 29. Oktober 2023 nach 3 Stunden und 24 Minuten in Luzern über die Ziellinie. Ein emotionaler Moment für mich, meine Frau, meine
Söhne, Kollegen und Freunde, die mich während der gesamten Krankheits- und Genesungszeit bedingungslos unterstützt haben.