Myriams Geschichte

Eine tickende Zeitbombe

Myriam lebte 25 Jahre lang mit einer chronischen Blutarmut. Vor genau einem Jahr erhielt sie die erlösende Blutstammzell-Transplantation. Die Freiburgerin ist eine Kämpferin, Optimistin und Frohnatur. Hier erzählt sie ihre bewegende Geschichte.    

Bereits als Zwölfjährige erhielt ich die Diagnose «Aplastische Anämie». Mein Körper bildete zu wenig Blutzellen, was zu einer starken, chronischen Blutarmut führte. Bei schlechten Blutwerten waren oft Spitalaufenthalte nötig, aber ich kämpfte mich bisher jedes Mal durch und lernte das Leben trotz Krankheit zu geniessen. Kraft fand ich auf meinen zahlreichen Reisen und Ausflügen, beim Fotografieren oder im Kreis meiner Familie und Freunde. 

Leukämie? Nein danke.

25 Jahre lang lebte ich mit der Krankheit, hatte viele Auf und Ab’s, aber irgendwie hatte ich immer die Kurve gekriegt. Immer, bis im April 2021. Damals sanken meine Blutwerte drastisch und mein Arzt sagte mir, ich sei eine tickende Zeitbombe. Diese Worte blieben mir bis heute in Erinnerung. Bei einer Knochenmarkpunktion fanden die Ärzte neue Zellen mit hohem Entartungsrisiko. Das hiess, das Risiko war gross, dass ich an einer akuten Leukämie erkranken werde, es war nur eine Frage der Zeit. Dies war für mich der ausschlaggebende Zeitpunkt, als ich mich für eine Knochenmarktransplantation entschied. 

Spendersuche und Cüpli

Anfangs Juni 2021 wurde die Spendersuche aufgenommen. Es kam mir alles so unwirklich vor. Nachdem man 25 Jahre lang lernte, mit der Krankheit zu leben und stets irgendwie versucht hatte, das Leben zu geniessen, hiess es plötzlich, dass eine Transplantation die einzige Möglichkeit auf Heilung ist und dass man sonst vielleicht bald nicht mehr da ist. Das war schon ein Schock. Nach etwa drei Monaten Bangen und Warten kam dann der positive Bescheid, dass man einen Spender für mich gefunden hat. Darauf gab es dann erst Mal ein «Cüpli».

Transplantation

Mitte November 2021 trat ich mit gepacktem Koffer im Universitätsspital Basel meine Reise ins neue Leben an. 33 Tage verbrachte ich in einem Isolationszimmer, gut geschützt vor jeglichen Viren und Bakterien. Aber leider auch ohne Frischluft und mit nur wenigen Kontakten zur Aussenwelt. Nach zahlreichen Voruntersuchungen und Vorbereitungen folgte eine 8-tägige Chemo- und Antikörpertherapie, in der das Immunsystem auf 0 gesetzt und der Körper so auf die Spenderzellen vorbereitet wurde. Am 30.11.2021 bekam ich dann meine Spenderzellen in Form von Vollmark. Dieses wird, anders als bei ca. 80% der Spenderzellen, direkt aus dem Knochenmark des Spenders entnommen. Es hiess, dass dies für mich ein kleineres Risiko für Abstossungsreaktionen hätte. Der Vorgang der Transplantation ging etwa vier Stunden und erfolgte recht unspektakulär über einen Infusionsbeutel.
 
In den folgenden Tagen hiess es abwarten, bis die eigene Produktion und das Zellwachstum beginnen. Die Zeit im Spital war einerseits geprägt von Kontrollverlust, Zweifel und Angst, aber andererseits auch von Vorfreude auf ein neues Leben, von guten Gesprächen und von Hilfsbereitschaft und Fürsorge, welche ich von meiner Familie, meinen Freunden und dem Pflegepersonal erhielt. Ich hielt mir stets vor Augen, dass mein Leben ein dickes Buch ist, bei welchem das letzte Kapitel noch lange nicht geschrieben ist. Kurz vor Weihnachten 2021 konnte ich dann das Spital verlassen.  

Die Dankbarkeit, die ich für meinen Spender empfinde, kann gar nicht in Worte gefasst werden. Er hat mir ein zweites Leben geschenkt!

Zurück ins Leben

Der Weg zurück ins Leben war und ist kein Spaziergang. In den ersten Tagen zu Hause konnte ich nur etwa 20 Minuten spazieren gehen und war im Haushalt auf Hilfe angewiesen. Ich trainierte fleissig, um meinen Muskelaufbau und meine Kondition zu stärken und machte immer grössere Spaziergänge. Langsam kam die Fitness zurück. Auch die Blutwerte stiegen und waren teilweise sogar schon im Normbereich. 

Im Juli 2022 begann ich mit einem kleinen Pensum wieder zu arbeiten. Seit September sanken jedoch meine Thrombozyten wieder. Eine erneute Knochenmarkpunktion ergab, dass im Knochenmark zum Glück alles in Ordnung ist. Jedoch zerstört etwas Autoimmunes meine Blutplättchen. Im November und Dezember bekam ich deshalb eine erneute Antikörpertherapie, um diese Autoimmunreaktion aufzuhalten. Im neuen Jahr stiegen die Thrombozyten immer noch nicht an und es wurde bereits eine weitere Therapie ins Auge gefasst. 

Auch auf beruflicher Ebene war mir das Glück nicht hold: Da ich mein früheres Arbeitspensum noch nicht wieder bewältigen konnte, wurde mir meine Arbeitsstelle gekündigt. Das Warten auf den Entscheid betreffend IV-Rentenanspruch schien sich auch ins Endlose zu ziehen. Ich hoffte, auf eine unternehmensinterne Lösung, damit ich die Möglichkeit hatte, in einem reduzierten Pensum zu arbeiten und dieses stetig weiter auszubauen.  

Der Kampf geht also auf diversen Ebenen weiter. Mit dem Ziel vor Augen, dass ich bald wieder arbeiten, reisen und mein Leben geniessen kann, werde ich das alles irgendwie meistern. Frei nach dem Motto der meistgehörten Worte im letzten Jahr: «Es braucht Zeit und Geduld.» 
 

Ein Glas voller Wünsche

Hier sieht man ein Glas voller guter Wünsche von meiner Familie, von Verwandten, Freunden und Bekannten. Täglich durfte ich ein Zettelchen ziehen und die guten Wünsche gaben mir Kraft für den Tag. Das zweite Glas auf dem Foto ist eine «Bucketlist-Box», die ich selber gemacht habe. Ich habe dort Dinge auf Zettel notiert, die ich nach der Transplantation machen will. Auch meine Besucher im Spital durften Sachen notieren, die sie mit mir erleben möchten. Im Spital hat mich ausschliesslich meine Familie besucht, ich wollte das Risiko für allfällige Infektionen möglichst kleinhalten. Mit meinen Freunden blieb ich via E-Mail, WhatsApp oder Telefon in Kontakt. Ich bekam jeden Tag Besuch, von meiner Mutter, meinem Vater oder meinem Bruder. Sie haben sich aufgeteilt, sodass mir jeden Tag jemand Gesellschaft leisten konnte. Der Zusammenhalt in meiner Familie ist gross. Insbesondere die Beziehung zu meiner Mutter ist sehr innig, ohne sie hätte ich das alles nicht geschafft. Von der psychischen Unterstützung bis zur Hilfe im Haushalt, sie gibt mir stets Energie, Motivation und Kraft.