Beatrices Geschichte
Einige von euch kennen mich sicherlich noch von der SVBST, und ich erinnere mich gerne an viele von euch, ehemaligen Mitgliedern. 2009 wurde bei mir durch einen Zufall akute lymphatische Leukämie diagnostiziert. Ich wurde im August 2009, nach 6-monatiger Spendensuche transplantiert. Leider hatten der Spender und ich nicht alle HLA Merkmale übereinstimmend, aber die Zeit drängte. Zum Glück habe ich die Transplantation trotzdem recht gut überstanden. Aufgrund der «Mis-matches» bin ich heute noch auf etliche Medikamente angewiesen, die ich auch brav jeden Tag einnehme. Ich zeige diverse Formen der GVHD, die regelmässige Therapie und Kontrollen notwendig machen. Besonders auf Trab hält mich die Sklerose. Gegen den Juckreiz, die Hautveränderungen und die Verhärtungen des Bindegewebes, will irgendwie kein Mittel gewachsen sein. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Von innen nach aussen heilen, sich etwas Gutes tun!
Seit einigen Jahren kenne ich eine wunderbare Person, Barbara G., Sie ist Klavierlehrerin und hat ihr Musikstudio im selben Bürogebäude, in dem ich bis vor kurzem gearbeitet habe. Wir lernten uns immer besser kennen, sprachen über mich, meine Situation. Sie sah etwas in mir, das ich nicht sehen konnte. Ihre Vision: Eine von Herzen singende und dazu klimpernde, glückliche Bea – sie sah mein Potential und meine Verbindung zur Musik.
Als Teenager habe ich sehr viel gesungen, getanzt und auch Choreografien mit meinen Freundinnen eingeübt. Singen und Tanzen ist gut für Lunge, für Laune und für die Seele.
Aufgrund der Sklerose leide ich oft an schmerzhaften Krämpfen in den Händen. Diese Tatsache allein liess mich bisher denken «Ich kann das nicht, ich nicht, ich bin zu krank nicht fähig usw.» Ich habe mir das Klavierspiel einfach nicht zugetraut.
Dank meiner Schwägerin Sybille, sie hatte keinen Platz mehr für ihr Piano (Wink von ganz oben?), bin ich nun seit gut zwei Jahren Besitzerin eines Elektropianos. Es kam, wie es kommen musste: Barbara wurde meine Klavierlehrerin und kommt seit Corona sogar zu mir nach Hause, um mir das Spielen beizubringen.
Das erste Lied, welches in unbedingt lernen wollte, war «Shallow» von Lady Gaga. Im Kino habe ich den Film gesehen, und mich sofort in den Song verliebt. Mein Traum, zu singen und mich dabei mit dem Klavier begleiten zu können, brachte mir viel Energie und Lebensfreude. Endlich hatte ich wieder ein privates Ziel: Ich wollte diesen Song mit Leib und Seele singen, mich mit dem Klavier dazu begleiten, Musik erleben und leben.
Ich bin generell ein ungeduldiger Mensch und möchte alles sofort können. Beim Spielen habe ich mich erneut in Geduld üben müssen, auch wenn mich die Krankheit in dieser Beziehung schon vieles lehrte. Da können wohl so einige mitfühlen!
Statt mir das Notenlesen beizubringen, hat mich Barbara über mein Musikgehör geschult. Ein Lied ab Noten zu spielen, ist für mich ein Kraftakt. Wenn ich die Melodie spüre, meine Stimme dazu vibriert, kann ich alles loslassen, bin vollkommen bei mir. Es überkommt mich eine Welle der Glückseligkeit, was ich lange vermisst habe.
Mittlerweile spiele ich den Song mit geschlossenen Augen* und singe mit vollem Elan.
Ich habe mir was Neues zugetraut. Ich habe an mich geglaubt und geübt. Wenn ich singe und mich dazu begleite, fühlt sich mein Körper gesund an und ich fühle mich vollkommen.
* Nachtrag:
Als ich diesen Text schrieb, wusste ich noch nicht, was es heisst ein Lied «blind» spielen zu können. Vor einigen Wochen hatte ich einen folgenschweren Unfall. Ich war mit einer Freundin essen. Vom Tisch aufgestanden, hatte ich ein kurzes Blackout und stürzte
ungebremst. Mit dem Kopf aufgeprallt, erlitt ich ein schweres Augentrauma. Seither bin ich auf dem rechten Auge blind. Die Prognosen, dass sich die Situation verbessert, stehen leider schlecht.
Wir alle wissen es, in einem kurzen Moment kann sich das Leben ändern. Eigentlich haben wir alle genug zu ertragen, der Rucksack ist voll. Scheinbar kann der Mensch mehr tragen, als er zu denken glaubt. Seither lebe ich noch demütiger und bin dankbar für jeden Tag, der mir geschenkt wird. Mehr als je zuvor.